Sehr geehrter Herr Dr. Schwartze,
meine Damen und Herren des Kollegiums und der Elternschaft,
und vor allem liebe Schülerinnen und Schüler, für die der ganze Aufwand getrieben wird, nicht nur heute und während der Festwoche, sondern seit mittlerweile 150 Jahren.
Für Jubiläumsfeiern des Oskar-von-Miller-Gymnasiums, das vor einem halben Jahrhundert übrigens noch Altes Realgymnasium hieß, habe ich mir zwischenzeitlich eine gewisse Kompetenz erarbeitet. So habe ich zur offiziellen Festschrift zwei Beiträge geleistet und auch noch gleich eine Konkurrenz-Zeitschrift herausgegeben, mit folgendem Vorwort: „Dieses Heft unterscheidet sich von der großen Festschrift durch niedrigeres Niveau, durch sehr viel niedrigere Seitenzahl und durch einen sehr viel niedrigeren Preis. Vor allem aber unterscheidet es sich von der Festschrift dadurch, dass alles aus der Schülerperspektive, sozusagen der Froschperspektive gesehen wird.“ Dass die Froschperspektive auch beim Festakt nicht zu kurz kommt, war der Schülerschaft ein großes Anliegen. Deshalb nahmen wir mit gewaltigem Befremden zur Kenntnis, dass beim Festakt auch noch ein Vertreter der Stadt zu Wort kommen solle, was natürlich den zeitlichen Rahmen für Schüler- Auftritte weiter beengte. Meine Frage an Oberstudiendirektor Winterstätter, was überhaupt ein städtischer Bürgermeister in einem staatlichen Gymnasium verloren habe, wurde mit der zunächst vollkommen unverständlichen Auskunft beantwortet,
die Stadt sei immerhin der „Sachaufwandsträger“. Da ich mir darunter nichts vorstellen konnte, fügte der Direktor hinzu, dass die Stadt für die Schulbücher und das Gebäude zuständig sei. Das hat meine Entrüstung aber nur noch bestärkt: „Sie wollen die Leute, die uns zerfledderte Schulbücher aushändigen und das ganze Jahr als Wanderklasse durchs Schulgebäude jagen, auch noch zu Wort kommen lassen?“ Immerhin verständigte man sich mit dem Repräsentanten der Stadtverwaltung auf eine tragbare Redezeitbeschränkung.
25 Jahre später durfte ich dann als „Ehemaliger“ eine Festansprache halten, ohne bereits den Sachaufwandsträger Landeshauptstadt München repräsentieren zu müssen – die Wahl zum Bürgermeister erfolgte ja erst einige Monate später. Und heute ist es bereits einige Monate her, dass ich den Sachaufwandsträger Landeshauptstadt München vertreten musste. Kein Wort also über Sanierungsbedarf und Lehrmittelmisere. Fragen und Beschwerden richten Sie bitte an meinen Nachfolger. Mir reicht es völlig, wenn Sie zugeben, dass ich meine 24 Jahre als Bürgermeister in München geradezu genial terminiert habe, um Ihrem Unmut zu entgehen und trotzdem bei Festakten sprechen zu können.
Trotzdem will ich einige Worte zum Gebäude sagen: Nicht zum Sanierungsbedarf, zur Haustechnik oder den Problemen der Nachmittagsangebote, sondern zum Stellenwert des Bauwerks, seiner identitätsstiftenden Kraft, seiner Wirkung im Stadtviertel. Seien wir doch ehrlich: Wer hat schon – irgendwo in München, in Bayern oder der Bundesrepublik – so ein prachtvolles Schulgebäude mit derart trutzigem Turm besuchen dürfen? Früher, bevor ihm ein architektonisch ziemlich dürftiger Riegel vorgeschoben wurde, hat man ihn sogar von der Nürnberger Autobahn aus sehen können, als erstes stolzes Zeichen Münchner Urbanität. Und der Eingang mit seinem Rundbogen macht täglich etwas her, das Direktorat darüber hätte nicht repräsentativer untergebracht werden können. Und der Rundbogen über der Hofeinfahrt mit der Wölfin und Romulus und Remus dient schon seit 150 Jahren als unverwechselbares Markenzeichen – ebenso wie das CARPE DIEM-Mosaik, das man unvermeidlich mit Füssen tritt, wenn man in diese Schule geht. Der Schulhof eignet sich bis auf den heutigen Tag vorzüglich, um Rivalitäten mit den eingebildeten Humanisten von der anderen Seite auszutragen oder aber auf den Stufen des Brunnens Platz zu nehmen und im Schatten der Kastanien zu verschnaufen. So viel Unverwechselbarkeit, so viel Freude an der Originalität, so viel gestalterische Eigenwilligkeit – das ist bei Schulbauten selten, die heute oft einander ähneln, als wären sie vom selben Fließband gekommen. Dieses turmbewehrte, sanft gekrümmte Bauwerk widersetzt sich kraftvoll jeder Monotonie und banalen Zweckmäßigkeit – und das Schulleben beweist, dass Architektur auch anregen, fördern und beschützen kann. Dieses Gebäude atmet bei aller nostalgischen Verliebtheit einen liberalen, neugierigen und musischen Geist – und der neue Jahresbericht beweist ebenso wie in den Vorjahren, dass die Chance auch genutzt wird – ich gratuliere nach einem Gespräch mit Schülervertretern und nach Lektüre der aktuellen Publikationen dem Oskar-von-Miller-Gymnasium zu seiner Internationalität, die durch Reisen und Projekte bewiesen wird, zum naturwissenschaftlichen Forschergeist, der an einem Realgymnasium nicht fehlen darf, aber auch zur schwabingerisch musischen Leidenschaft, die dem Genius Loci huldigt und auf uralte Traditionen zurückblicken kann. Vieles – die Theatergruppe, die Schulfeste, den engagierten Elternbeirat, die Schülerzeitung, eine rührige SMV, eine selbstbewusste Traditionspflege, die sich vor allem mit Oskar von Miller und Ernst Heimeran befasste und noch nicht mit Ödön von Horvath – hat es damals schon gegeben, aber die Vielfalt der neusprachlichen Angebote des Schüleraustauschs, der Exkursionen imponiert schon. Das Gymnasium reicht – um es mit einem berühmten Wort zu sagen, das vielen Urhebern zugeschrieben wird, Traditionen nicht weiter wie kalte Asche, sondern es bewahrt die Glut und entfacht neues Feuer. Auch dazu mein Glückwunsch!