Jetzt ist es genau ein halbes Jahrhundert her, dass die Münchner Institution, ja Autorität namens Ponkie meine Schulklasse aufmischte, ohne dafür auch nur einen Finger rühren zu müssen. Es war 1966 – und Ponkie schrieb schon seit 10 Jahren in der AZ. In der Zeit also, als man noch nicht vor der Glotze saß oder gar unermüdlich sein Handy streichelte, sondern als Schüler noch ins Kino ging. Wir redeten viel über Filme damals, und deshalb war es unerlässlich, in der Leopoldstraße eine „Abendzeitung“ zu kaufen, um zu wissen, wie Ponkie die Neuerscheinungen im Kino beurteilte. Ponkie schrieb mit cineastischer Begeisterung, kompetent, respektlos, frech, witzig, wortgewaltig, originell. An das gepfefferte „Fazit“ am Ende des Artikels konnte man sich immer halten. Es war belebend und ermutigend, mit wie viel Spott dieser Kerl über Heimatschnulzen und peinliche Revue-Filme herzog und wie viele Geheimtipps er wusste, was wirklich sehenswert ist im Kintopp. „Ich seh das wie Ponkie“, sagten wir einfach, wenn uns die eigenen Worte fehlten. Einer in der Klasse wollte aber noch eins drauf setzen. Er erzählte, dass sein Freund Ponkie ihm bei gemeinsamen Schwabinger Kneipentouren schon im voraus erzählt, welche Sternchen bald Karriere machen und was für Filme demnächst gedreht werden. Das imponierte! Kennt der doch tatsächlich Ponkie persönlich! Und wir stellten uns alle ziemlich neidisch vor, wie dieser junge, freche Filmkritiker mit einem wahrscheinlich feschen Cabrio von Premiere zu Premiere eilt und ausgerechnet unserem Klassenkameraden die kommenden Sternchen vorstellt. Bis eines Tages die AZ auf die folgenschwere Idee kam, alle Redaktionsmitglieder des Feuilletons auch im Bild vorzustellen. Da stürzte dann ein Mitschüler, die AZ schwenkend, ins Klassenzimmer und schmetterte in den Unterricht: „Der Ponkie ist eine Frau!“
Das homerische Gelächter der Klasse hat unseren Experten für Filmsternchen nachhaltig verstummen lassen. Aber unsere Klasse hat frühzeitig begriffen, dass manches, was man (damals!) nur einem Mann zutraute, auch von einer Frau stammen konnte. Und dass diese bereits „etablierte“ Frau genauso aufmüpfig und kritisch dachte, wie uns zumute war – zwei Jahre vor 1968. Heute weiß jeder, dass Ponkie, die tatsächlich Ilse Kümpfel-Schliekmann heißt, was wiederum kaum jemand weiß, eine Frau ist – aber dafür kann sich wohl kaum ein Mensch vorstellen, dass diese nach wie vor spritzig, manchmal auch bissig, immer aber wortspielerisch schreibende Frau heute (jawohl: HEUTE) 90 Jahre alt wird. In Worten: neunzig. Das haut einen doch um!
Unverändert ist in jeder Zeile Neugier, Interesse, Anteilnahme und Lebenslust zu spüren, aber auch Verachtung von Mittelmaß, Konvention, Spießigkeit, autoritärem Gehabe, moralinsaurer Heuchelei, seichter Unterhaltung und phantasieloser Meterware – eine einzige Erfrischung. Manch verpatzter Fernsehabend mit entgleistem Krimi oder rührseligen Sentimentalitäten oder gar geistlosem Entertainment lässt sich überhaupt nur aushalten Dank der Vorfreude auf die Züchtigung, die den Protagonisten der missglückten Produktion garantiert von Ponkie anschließend verpasst wird. Selbst Bernd Eichinger hat es einmal erwischt. Es sei, hat er gesagt, das schlimmste gewesen, was er im Zusammenhang mit seinem filmischen Schaffen erleben musste.
Vor allem die Programmverantwortlichen der „peng-klatsch-bums-bleiben-Sie-dran-bla-bla-bla-machen-Sie-mit-stammel-stammel-das-ganze-Leben-ist-ein-Quiz-blök-blök-Sender“ bekamen ihr Fett weg. Heute wissen wir: das war nicht nur eine Abrechnung mit Privatsender-Schrott, sondern auch ein Blick auf so manche öffentlich-rechtliche Zukunft. Das ganze Leben ist ein Quiz, unterbrochen allenfalls durch Kochsendungen.
Dabei war es nie so, dass sie vor lauter Freude an Verrissen nichts anerkennen oder fördern konnte. Ganz im Gegenteil: Sie hat Lebenswerke großer Regisseure oder Schauspielerinnen einfühlsam ausgeleuchtet und respektvoll gewürdigt, noch unentdeckten Talenten der Nachwuchsszene risikofreudig und engagiert den Weg geebnet und begeistert qualitätvolle Fernsehproduktionen gelobt – von den „Münchner Geschichten“ bis zur „Löwengrube“ und zu „Kir Royal“ – und ganz besonders den „Monaco Franze“, dem sie sogar die Ehrerbietung entgegenbrachte, das sei „Fernseh-Poesie“. Geschrieben vor allem vom hochgeschätzten Helmut Dietl, verkörpert von Helmut Fischer – der einmal ihr Stellvertreter war. Ja, wirklich. Fischer kam ja nicht als Monaco auf die Welt, auch wenn viele das heute glauben, er war jahrzehntelang ein glückloser, vergeblich auf Aufträge wartender Schauspieler, der vom vergeblichen Warten nicht leben konnte und deshalb für die AZ Filmkritiken schrieb. Nicht über die Filmkunst, die der Chefin vorbehalten war, sondern über all den Schrott, der auch noch gezeigt wurde, Softpornos im Bahnhofskino zum Beispiel. Auch wenn die Aufgabenverteilung nicht wirklich gerecht war, ist dies der Anfang einer wunderbaren Freundschaft gewesen. Oft traf man sich sonntags im Café Münchner Freiheit – die Fischers vom Kaiserplatz und die Ponkie aus Solln, der Franz Geiger, der auch Drehbücher zum Monaco beigesteuert hat, die Ilse Neubauer, die Udes und von Fall zu Fall weitere Freunde, Bruno Jonas zum Beispiel. Da ging es ganz schön politisch zu, und Ponkie nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es gegen den Mainstream ging, wie in ihren Kolumnen, in denen sie über „Vaterlandsmief mit quirlendem Pathos und nationalem Nebel“ spottete oder anprangerte, dass sich der „Ellenbogen-Egoismus zum nationalen Gemeinschaftsmief zusammenklumpt“.
Ponkie ist nicht nur eine Frau mit Witz und Geschmack, sondern auch eine Journalistin mit Haltung. 1982 habe ich sie für eine Illustrierte interviewt und befragt, ob München ihrer Meinung nach so provinziell sei, wie es Hamburger Magazine darstellen. Da kam sie – empört über den ersten Fehlstart des Münchner Filmfests unter OB Kiesl – richtig in Fahrt: „Ob sich nun Münchner Stadträte ein verkalktes Glamour-Filmfest für halbseidene Party-Society aus dem Banausenärmel schütteln wollen, ob die Kulturverwalter anarchischen Poeten an den Kragen gehen oder exzentrischen Filmregisseuren zeigen, wer der Herr im Haus ist: Immer soll alles schön glatt sein. Weg mit den Wilden ,,Begabten, Unbequemen – denn die machen Schmutz im Stiegenhaus. DAS ist Provinz.“
Weil mit der Zeitung von heute morgen auf dem Markt die Fische eingewickelt werden, hat sich Ponkie natürlich bemüht, ihre Werke auch in Buchform vorzulegen: über Film und Kino, über Bayern mit seiner Amigo-Gesellschaft und seinen ganz besonders gottgefälligen Repräsentanten der politischen Klasse, über München, das ihr gerade im Jahr der 850-Jahrfeier zu selbstgefällig zu werden drohte, und über Katzen, in die sie fast so närrisch verliebt ist wie einst Helmut Fischer es war. „Bonzo, der neue Hausbesitzer“ heißt ihr Buch über den jüngsten Lebensabschnittsgefährten, und da versucht sie doch tatsächlich, sich als dessen „Untermieterin“ auszugeben. Irrtum, liebe Ponkie! Das hättest Du doch eigentlich bei Helmut Fischer lernen können, dass Katzenhalter überhaupt keine Rechte haben, auch keine mietvertraglichen, sondern ausschließlich Pflichten, und zwar zu niedrigen Frondiensten als Dosenöffner und Katzenkloreiniger. Da ist Dir wohl im „Duziduzi-Streicheldelirium“ eine gewaltige Selbstüberschätzung unterlaufen!
Pointen waren Ponkie immer wichtiger als Preise – trotzdem hat sie viele bekommen: den Schwabing Kunstpreis, den Ernst-Hoftrichter-Preis, den Sigi-Sommer-Preis (gewissermaßen von AZ-Kollege zu AZ-Kollegin), den Grimme-Preis (für Verdienste um die TV-Kultur!) und den Wilhelm-Hoegner-Preis. Gerade der letzte Preis ist mir unvergesslich, weil bei der Verleihung im Bayerischen Landtag im Juli 1995 der Laudator sich zu dem Ausruf „Ponkie, wir lieben Dich“ hinreißen ließ. Das war schon ganz schön peinlich. Aber inzwischen bin ich stolz darauf, ihr mal so richtig die Meinung gesagt zu haben!
Fehlt noch was? Aber ja! Ponkie, das Familientier. Im Sollner Eigenheim mit verwunschenem Garten bekam sie, die nach dem Studium von Germanistik, Zeitungswissenschaft und Geschichte erst einmal für die Fachzeitschrift „Tennis“ arbeitete und ein Tennis-Ass heiratete, drei Kinder und brachte die Familie nach der Trennung vom Ehemann alleine durch. Die älteste Tochter, heute Vorsitzende Richterin, erzählt im Buch „Mütter und Töchter“: Alle kamen zu uns zum Feiern, haben bei uns debattiert, abenteuerliche Ideen ausgetauscht, Tischtennis gespielt, gesungen, gesoffen, gekifft.“ Und die Enkelin Marie erzählt voller Stolz: „In unserer Familie hat immer schon das totale Chaos geherrscht. Wir waren bald schon vier Kinder, ich fand das toll, denn es war immer etwas los bei uns!“ Nichts, was in Patchwork-Familien so passiert, ist Ponkie fremd. Dabei ist der Zusammenhalt gewaltig. Was übrigens auch für die Schwiegertochter Petra Perle gilt.
Die Frühstücksrunde auf der Münchner Freiheit trifft sich nur noch selten. Dafür ist Ponkie seit der Gründung bei den „Kellerweibern“ dabei, die seit genau 20 Jahren in einem Gewölbe ein paar Dutzend Gleichgesinnte versammeln und auch einige Männer dulden, sonst könnte ich hier nicht darüber berichten. Heute heißt es dort unten: „Ponkie, wir feiern Dich!“ Und sag bloß nicht: „Des hätt’s fei ned braucht.“