Hochverehrter Herr Präsident, verehrte Festversammlung,
herzlich danke ich für die Ehre, Gast zu sein und auch noch für die Gäste Dank sagen zu dürfen. Also laut und deutlich: Danke für einen unvergesslichen Tag!
Zum Glück habe ich einige Monate lang vom Präsidenten nähere Anweisungen erhalten, um dem hohen Amt der Danksagung wenigstens annähernd gewachsen zu sein.
So erfuhr ich, dass ich mit Smoking erscheinen müsse, und zwar mit schwarzer Fliege. Diese Kleidervorschrift hat die Rentierlichkeit der Anschaffung meines Smokings vor etlichen Jahren zur Entgegennahme des Karl-Valentin-Ordens auf einen Schlag verdoppelt und außerdem zum Erwerb einer Zweitfliege geführt, denn offen gesagt wäre ich nur auf rot eingestellt gewesen.
Dann wurde ich belehrt, dass alle Anwesenden Genossen seien, was mir nicht gleich aufgefallen wäre, aber eben nicht einfach nur Genossen, sondern Eiswettgenossen, was etwas wesentlich besseres sein soll.
Beim Studium der Gästeliste hat mich zunächst überrascht, wie viele Repräsententen der Finanzbranche sich kurz nach der Finanzkrise schon wieder zum Prinzip der Wette bekennen, aber der weiteren Literatur konnte ich entnehmen, dass das Risiko nicht wirklich groß ist: Die Frage, ob die Weser des winters „geiht“ oder „steiht“, wurde längst durch die Erderwärmung entschieden. Sie „geiht“, weil nichts mehr einfriert. So ist diese Wette vielleicht die einzige Veranstaltung weltweit, bei der die Klimaveränderung alle Risiken – beseitigt! Und wir Teilnehmer im schwarzen Smoking erinnern an die Pinguine auf ihren schmelzenden Eisbergen.
Fast eingeschüchtert hat mich der Begriff der Raupipau, der so klangvoll wirkt wie der Name eines afrikanischen Volksstamms oder eines mehrgängigen chinesischen Gerichts.
Raupipau! Viel imposanter als der Klang aber ist die Bedeutung. In Bayern, dem Land des strengsten Rauchverbots Europas, wagt niemand auch nur zu denken, im Angesicht zahlreicher Zeitzeugen zu qualmen – ihr aufsässigen Hanseaten tut es, eine Stunde lang!
Respekt! Und die zweite Tätigkeit, die sich in dieser Stunde der Selbstverwirklichung entfalten darf, nennt ihr auch noch schamlos beim Namen. Auf dem Münchner Oktoberfest, das völlig zu Unrecht als Hort rustikaler Derbheit gilt, wird auf den einschlägigen Wegweisern nur zart angedeutet, hier könne man, wenn man müsse. Bremen, du Heimstätt bäuerlicher Direktheit!
Geschichtlich wurde mir erläutert, dass in Bremen seit 1828 gewettet wird. Dieses frühe Datum imponierte mir auf Anhieb – bis mir einfiel – entschuldigen Sie bitte diese lokalpatriotische Hybris! -, dass wir in München das Oktoberfest schon seit 1810 feiern. Allerdings haben wir es nicht einmal in 200 Jahren geschafft, die Kleidervorschriften so rigoros wie in Bremen durchzusetzen. Immer noch gibt es Neuseeländer ohne Lederhose und amerikanische Touristinnen, die sich nicht in Dirndl zwängen lassen – auch wenn die Zahl solcher Verstöße erfreulich rückläufig ist.
Damit bin ich auch schon bei meinem ersten Thema, das ich mit Bedacht ausgewählt habe, denn man ließ mich wissen, dass die Gäste-Rede nicht so tiefschürfend, bedeutungsschwanger und wegweisend wie die Deutschland-Rede sein müsse, sondern im Gegenteil der fortgeschrittenen Zeit und dem gestiegenen Alkoholpegel Rechnung tragen solle, ohne dies allerdings allzu deutlich erkennen zu lassen.
Also heißt mein Thema: Bayern und Bremen. Ich kann es sogar mit einem ernsthaften Hinweis eröffnen: Ich bin als Münchner Oberbürgermeister und deutscher Städtetagspräsident stets für das Bundesland Bremen eingetreten, weil die deutschen Städte durch Stadtstaaten an der Gesetzgebung des Bundes beteiligt sein müssen. Ohne Städte ist kein Staat zu machen, deshalb danke ich Hans Koschnik, Klaus Wedemeier, Henning Scherf und jetzt Jens Böhrnsen für ihr Engagement als Anwälte der Städte. Da ich mich aber streng überparteilich verhalten möchte, muss ich auch noch ein Kompliment für den Notarius Publicus loswerden, den Fraktionsvorsitzenden der CDU im Bremer Rathaus. Als Verfechter rot-grüner Politik finde ich es äußerst lobenswert, dass er nicht nur der SPD Platz 1, sondern darüberhinaus den Grünen Platz 2 überlassen hat – so viel Bescheidenheit findet man im politischen Betrieb sehr selten! Und dann ist es ihm auch noch gelungen, mit seiner Rede hier bei uns auswärtigen Gästen Verständnis und Sympathie für seine Partei
zu wecken; nach seiner Rede verstehen wir jedenfalls, dass seine Partei es beim nächsten Mal mit einer Frau an der Spitze versuchen will.
Nach dieser Abschweifung ins Bremische komme ich zurück zu weißblauer Folklore: Das Verhältnis zwischen Nord und Süd ist nicht frei von Gefälle. Während die Pinguine früher etwas herablassend auf den Volksstamm in Sepplhosen herabblickten, fragt sich der Bayer heute, ob das Bremer Hochschulwesen die Fortsetzung des antiautoriären Kindergartens mit anderen Mitteln ist. So trösten wir uns jedenfalls in Bayern darüber hinweg, dass diese Ihre Universität inzwischen auch exzellent ist! Sie lachen, aber ich würde mich, wenn ich Bremer wäre, darüber freuen! Vor allem fragt sich der Bayer aber, warum ausgerechnet er die Schuldenberge an der Weser abtragen sollte, statt sich in der eigenen Bergwelt zu amüsieren. Mit völligem Unverständnis begegnet der staatstragende Teil des Freistaats der ärgerlichen Tatsache, dass off-shore-Anlagen nur im Meer errichtet werden können, obwohl Bayern gar kein Meer hat. Dies wird als Ungerechtigkeit empfunden, die es durchaus mit dem Länderfinanzausgleich aufnehmen kann. Dieser Ausgleich belastet ja einseitig reiche Länder, statt das Geld da zu holen, wo keines ist. Das sieht man in Geberländern naturgemäß kritischer als in Nehmerländern.
Zurück zur Windkraft. Das Nehmerland Bremen soll sich aus bayerischer Sicht durchaus wirtschaftlich erholen, aber doch nicht, indem es Geld verdient. Deshalb wird Bayern keine Trassen in den Süden dulden! Der Hinweis, dass ohne Trassen der Strom in Bayern knapp und teuer werden könnte, gehört übrigens zu den winkeladvokatischen Argumentationstricks, derentwegen der Süden die Menschen aus dem Norden nicht wirklich leiden mag.
Es ginge – rein theoretisch – auch anders. Bei meinem letzten Besuch in Bremerhaven habe ich die gigantischen Tripoden besichtigt, auf einem Schiff und am Hafen, die weitere Windkraftparks off shore tragen werden – und mich „wie Bolle“ gefreut, dass sie zu 50 Prozent den Stadtwerken München gehören. Ja, so ginge es auch: Die Energiewende gemeinsam anpacken!
Von unseren drei Stadtstaaten ist Bremen – was das Verhältnis zu Bayern betrifft – in einer Beziehung deutlich privilegiert: ihr habt kein Großprojekt, über das freistaatliche Politiker bei jeder Gelegenheit Hohn und Spott kübelweise ausschütten. Dies ist aber nur dem Geldmangel geschuldet, und dies könnte sich dank der Stärken des Standorts Bremen, die immer mehr ins Gewicht fallen, bald ändern. Deshalb verrate ich jetzt ein bajuwa-
risches Staatsgeheimnis: Wie man Blamagen bei Großprojekten zuverlässig vermeidet, wie man Peinlichkeiten um Flughafenbau etc. und Elbphilharmonie von vorneherein ausschließt.
Bayern beherrscht diesen Trick souverän. Vier Beispiele:
Seit den 70er Jahren jubelt die Presse, dass Bayern bald den ersten Transrapid Europas erhält. Jahrzehntelang ließ sich die Staatsregierung feiern als Anwalt deutscher Ingenieurskunst, als Motor des Fortschritts.
Dann die 2. Stammstrecke der S-Bahn. Seit zwei Jahrzehnten packt die Regierung das Thema an, verspricht pünktliche Züge, die nie mehr überfüllt sein werden.
Oder die dritte Startbahn ein Segen für den Flugverkehr.
Oder ein 4. Konzertsaal für München die Musikwelt ist seit einem Jahrzehnt begeistert.
Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will? Ich fürchte nein. Bei keinem dieser Projekte, die Bayerns Ruhm nicht nur durch den deutschen Blätterwald, sondern auch in alle Vorstandsetagen deutscher Unternehmen und in sämtliche Winkel der Welt getragen haben, hat es jemals einen Baubeginn gegeben! So wird kein Zeitrahmen gesprengt, kein Budget überschritten. Wie man das macht – und gleichzeitig den Haushalt schont – könnten die liederlichen Stadtstaaten wahrlich am Fuße der Alpen lernen!
Nach dem Verhältnis von Nord und Süd muss das spannungsreiche Verhältnis von Mann und Frau angesprochen werden – denn nach meiner leichtfertigen Zusage ereilte mich ein eiskalter Windstoß des Feminismus: Wie ich bei einer reinen Herrenrunde mitwirken könne, wollte eine Journalistin im Namen größter Medien wissen. Schlimmer noch: Sie bat um postwendende Antwort, ob ich auch bei Veranstaltungen teilnehmen würde, an der dunkelhäutige Menschen ausgeschlossen sind. Bevor ich als Rassist nach Hause komme, gehe ich lieber auf das Thema ein. Der in der Tat etwas eigentümlichen Regelung hier scheint die Überlegung zugrunde zu liegen, dass eine Veranstaltung schon ziemlich elitär sei, wenn man die weibliche Mehrheit der Bevölkerung ausschließt. Wie Sie dies Ihren Frauen oder gar Ihren noch moderneren Freundinnen klar machen konnten, habe ich allerdings nie verstanden. Schließlich hat die Einbeziehung von Frauen in die Verantwortung doch auch ihre unbestreitbaren Vorzüge. Ich nenne nur ein Beispiel des heutigen Tages: Ist es nicht wunderbar, dass wir Männer eine von vielen männlichen Verteidigungsministern ruinierte Armee als „Uschis Reste-Rampe“ verhöhnen können?
Aber ich habe Ihre Beweggründe schon verstanden: Sie sind nicht von gestern, wie jeder Betrachter von außen glaubt, sondern von übermorgen. Ich habe die Zahlen des Abiturs in Deutschland studiert. Mädchen sind entweder klüger oder lernfähiger oder beides als Burschen. Alarmierend! Beängstigend! Wenn das bei Studium, Forschung und Lehre so weitergeht, wird bald kein Mann mehr beim Treffen der Nobelpreisträgerinnen zugegen sein dürfen. Nein, Sie sind keine Zitadelle männlicher Vormacht, sondern ein bald schon dringend benötigtes Reservat, damit wir zunehmend aus der Führungsverantwortung verdrängten Männer auch in Zukunft wenigstens einmal im Jahr noch eine öffentliche Rolle spielen dürfen – bei der Eiswette in Bremen.