Ein Preis, den Hildegard Hamm-Brücher gestiftet hat, bewegt mich sehr, denn es ist jetzt tatsächlich schon über ein halbes Jahrhundert her, dass sie mir in einem Brief geschrieben hat: „Sie scheinen ein nicht unbegabter junger Journalist zu sein. Gehen Ihre Berufswünsche auch in diese Richtung? Falls Sie mich einmal für irgendeine Hilfe brauchen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“
Das war ihre Reaktion auf einen Artikel, den ich als aufmüpfiger Schülerredakteur geschrieben hatte und der nicht nur Ärger mit der Schulleitung bereitete, sondern sogar den Zorn des Kultusministeriums erregte. Das Hilfsangebot von Hildegard Hamm-Brücher hat mich unbandig gefreut und ermutigt, denn sie war damals allen politisch interessierten Schülern im Freistaat bereits ein Begriff als „einziger Mann im Landtag“. Wir hatten sie bereits öfters an ihrem Informationsstand auf der Münchner Freiheit gesehen, wo sie für ihr Volksbegehren Christliche Gemeinschaftsschule warb. Später habe ich mit ihr zusammenarbeiten dürfen beim Volksbegehren Rundfunkfreiheit.
Ihre Hilfe musste ich aber erst 1993 in Anspruch nehmen, als der OB-Wahlkampf immer spannender und sein Ausgang immer ungewisser wurde. Da gründete sie tatsächlich gemeinsam mit einem FDP-Stadtrat und jungen Liberalen eine Wählerinitiative „Liberale für Christian Ude“. Ganz egal wie viele Prozente dieser Aufruf der Grand Dame des Liberalismus gebracht hat, wahlentscheidend war er auf jeden Fall, denn die 50 Prozent-Hürde wurde nur haarscharf übertroffen – und eine Stichwahl wäre ein Debakel mit völlig offenem Ausgang geworden.
Nach dieser spannenden Wahl konnten wir öfters zusammenarbeiten, insbesondere im Bündnis für Toleranz, Demokratie und Rechtsstaat, in dem sie von Anfang an und bis ins höchste Alter aktiv mitwirkte, weil sie die Bürgergesellschaft gegen jede Form von Rechtsextremismus und Antisemitismus schützen und bewahren wollte. Einen von Hildegard Hamm-Brücher gestifteten Ehrenpreis zu erhalten, gereicht mir wirklich zur Ehre.
Ebenso bewegt mich heute Abend die Anwesenheit von Max Mannheimer, der ebenfalls bis ins allerhöchste Alter aktiv am Kampf für die Demokratie und an der Aufklärung der Jugend mitwirkt – lieber Max, schön, dass Du da bist. Ebenso will ich mich ganz herzlich bei Hans-Jochen Vogel für seine heutige Anwesenheit bedanken, denn er ist auch bei diesem Ehrenpreis einer meiner Vorgänger – wie schon im Amt des Münchner Oberbürgermeister und des Deutschen Städtetagspräsidenten wie auch bei der Spitzenkandidatur der BayernSPD.
Weil wir uns hier im NS-Dokumentationszentrum versammelt haben, das von manchen als der Beginn einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf Münchner Boden bezeichnet wird, möchte ich doch daran erinnern, dass Hans-Jochen Vogel ebenso wie Wilhelm Hoegner, der als Hitler-Gegner der ersten Stunde später ins Exil gehen musste, schon in den 60-er Jahren gegen das Vergessen gekämpft und sich bei jedem geeigneten Anlass mit der Rolle Münchens bei den ersten Aktionen und Erfolgen der Hitler-Bewegung kritisch auseinandergesetzt hat.
Auch die Gedenkfeiern im ehemaligen KZ Dachau mit so prominenten Rednern wie Bundeskanzler Willy Brandt und Bundeskanzler Bruno Kreisky haben sich seit den 60-er Jahren mit den Verstrickungen von Münchner Institutionen und Personen mit der nationalsozialistischen Bewegung befasst, ebenso Jahr für Jahr die Gedenkfeier der Israelitischen Kultusgemeinde für die Opfer der Reichspogromnacht oder die Gedenkfeiern von SPD und Jungsozialisten für die Opfer der Penzberger Mordnacht. Hier ist auch an die Wehrmachtsausstellung zu erinnern, die trotz heftiger Anfeindungen im Münchner Rathaus gezeigt wurde oder an den Geschwister-Scholl-Preis, der seit Jahrzehnten die Vergangenheit kritisch aufarbeitet. Ja, manches von dieser schmerzhaften Erinnerungsarbeit wurde angefeindet oder totgeschwiegen. Aber es ist einfach nicht wahr, dass all das, was ich nur beispielhaft ansprechen konnte, bislang nicht stattgefunden hätte. Mich begleitet das Thema „Münchens Rolle im Nationalsozialismus“ jedenfalls dank vieler engagierter Demokraten schon sei einem halben Jahrhundert.
Der Bürgerpreis nennt sich ebenso wie die Stiftung „Gegen Vergessen – für Demokratie“. Beide Aspekte sind wichtig und bedeutsam: Es darf kein Vergessen geben – aber auch keine Geringschätzung der Demokratie, keine jedes Engagement lähmende allgemeine Politikverdrossenheit, keine Modeerscheinung, Wahlenthaltung zu propagieren! Denn politische Enthaltsamkeit oder gar Wahlenthaltung überlässt das Feld den Rechtsradikalen, die schneller Boden gewinnen können, als wir uns noch heute vorzustellen vermögen. Jeder Demokrat, der über alle demokratischen Parteien gleichermaßen die Nase rümpft und deshalb der Wahlurne fern bleibt, stärkt damit rechtsextreme Kräfte, denen durch die Stimmenthaltung von Demokraten bereits der Weg in deutsche Rathäuser und Landtage geebnet wurde, auch ins Münchner Rathaus, was uns an einem Ort wie diesem doch nicht kalt oder gleichgültig sein lassen kann.
Sind 70 Jahre Zeitabstand genug, um ein Kapitel der Geschichte für abgeschrieben zu erklären? Wir müssen nur bedenken, was heute Vormittag in der Zeitung stand, dass nämlich seit 1990 unfassbare 75 Morde mit rechtsradikalem Hintergrund in Deutschland begangen wurden, und schon ist die Antwort klar: Nein!
Allein der „nationalsozialistische Untergrund“ hat 10 Morde auf dem Gewissen und konnte sie ein Jahrzehnt lang verüben, ohne dass ihm mitten in unserem Rechtsstaat das Handwerk gelegt worden wäre. Wir müssen nicht weniger, sondern mehr Aufklärung betreiben über das Wesen des Rassismus und des Antisemitismus, über die Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und das Unheil jeglicher totalitärer Ideologie. Dabei dürfen wir nicht unter uns Gutwilligen bleiben, sondern müssen die Gefährdeten ansprechen, wie es die Löwen gegen Rechts, unsere heutigen Preisträger, so vorbildlilch in Stadien, in Fankurven und im Anschluss an Fußballspiele tun. Das freut mich nicht nur wegen der Vereinsfarben, mit denen ich bekanntlich auch sympathisiere, sondern wegen des richtigen Ansatzes, dort hinzugehen, wo Aufklärung Not tut und kein Ritual in kleinem Kreis ist.
Schließen möchte ich mit einem Wort, das mich wie kein anderes zur Frage der Schuld irritiert und elektrisiert hat. Ich hatte als junger Pressesprecher der Münchner SPD die Ehre, Willy Brandt in seinem Auto zu einem Landesparteitag im Allgäu zu begleiten. Das Gespräch kam schnell auf Flucht und Exil, auf Geschichte und Schuld. Da sagte er, dass es keine Kollektivschuld gebe, aber sehr wohl eine „Schuld durch Schwäche“. Dieses Wort, das ich vorher noch nicht gehört hatte, widersprach zunächst meinem damaligen Weltbild, denn es waren doch immer die Starken die Täter und die Schwachen die Opfer. Aber er meinte etwas ganz anderes: Wenn politische Kräfte ihre Schutzbefohlenen nicht mehr schützen können, haben sie versagt und Schuld am weiteren Geschehen auf sich geladen. Er meinte damit die Arbeiterbewegung gegen Ende der Weimarer Republik, die sich gespalten, selbst geschwächt und den Nazis den Weg geebnet hatte, aber ich habe das als allgemein gültigen Ansporn verstanden, demokratische Kräfte so zu stärken, dass sie in keiner historischen Situation unter die Räder kommen, mitsamt allen Menschen, die sie schützen wollen und schützen müssen. In diesem Sinne: Es gibt auch heute noch viel zu tun!