Ich bin beeindruckt! Ich war schon beeindruckt von der Einladung, in der Oberpfalz eine Ausstellung über die Münchner Künstlergruppe WIR zu eröffnen. Dann war ich beeindruckt von allem, was ich über dieses Museum lesen konnte. Und jetzt bin ich beeindruckt von diesem Haus, das tatsächlich ein Vorbild moderner Museumsarchitektur ist.
Mit dem Lothar-Fischer-Museum ist Neumarkt in der Oberpfalz aufgestiegen in das Dreigestirn der Städte, die in Bayern jeweils einem bedeutenden Bildhauer der Moderne ein Museum gewidmet haben. Da ist natürlich als erstes die niederbayerische Hauptstadt Landshut zu nennen, die ein Museum für den international bekannten und geschätzten Bildhauer Fritz König geschaffen hat, der seit „Nine Eleven“ sogar weltbekannt ist, weil seine kugelförmige Skulptur am Fuße des World Trade Center als einziger Gegenstand auf dem Ground Zero die Katastrophe überstanden hat. Und dann ist Ingolstadt zu nennen, das Alf Lechner nicht nur Wirkungsmöglichkeiten vor Ort eröffnet hat, sondern eben auch ein eigenes Museum, so dass die Stadt nicht nur mit ihrer bedeutsamen Geschichte und auch nicht nur mit AUDI ingolstadt in Verbindung gebracht wird, sondern mit einem Meister moderner Kunst. In einem Kulturstaat – und das soll, ja muss Bayern nach seiner Verfassung sein – steht es gut an, wenn zeitgenössische Kunst nicht nur in den Metropolen zu finden ist, sondern auch in kleineren Städten starke Präsenz zeigt und auf großes Interesse der eigenen Bewohner wie auch der Besucher der Stadt stößt. Mit dem Lothar-Fischer-Museum, das vor zehn Jahren eröffnet wurde, hat sich Neumarkt aber nicht nur zu einem bedeutenden Künstler bekannt, der das Stadtbild mit unverwechselbaren Skulpturen mitprägen durfte, sondern auch ein ungewöhnlich gut gelungenes Beispiel für moderne Museumsarchitektur geschaffen. Im Katalog dieses Museums hat mein Freund Wolfgang Jean Stock ausdrücklich gelobt, wie gut sich dieser moderne Bau in die Stadtlandschaft einfügt und als weiß-strahlendes Baujuwel wirkt, das sich aber nicht in den Vordergrund schiebt, sondern die Kunst zur Geltung kommen lässt, die in einem Museum ja auch im Mittelpunkt stehen und keine Statistenrolle spielen soll. Nur ein Beispiel: Die lange, hohe Treppe zum Obergeschoss hat zwar selbst skulpturellen Charakter, aber sie lenkt alle Blicke und jede Aufmerksamkeit auf die Plastik Hohe Eva, die herausgestellt werden soll. Die einzige “Konkurrenz“, gegen die sich die Exponate behaupten müssen, ist die durch große Glasfenster sichtbar werdende Natur der Umgebung, aber dies „erschlägt“ die Skulpturen nicht, sondern unterstreicht nur, wie gut sich das Museum in die Umgebung einfügt und ihre Ästhetik einbezieht. Außerdem sind Bildhauer, die mit vielen Arbeiten im öffentlichen Raum vertreten sind, wie Lothar Fischer, es durchaus gewohnt, sich auch in einer großen Landschaft und nicht nur in musealen Räumen behaupten zu müssen. Also wirklich: Glückwunsch und Respekt für dieses Haus.
Vielleicht fragen Sie sich, warum „ausgerechnet“ ein langjähriger Repräsentant der Landeshauptstadt zur Eröffnung einer Ausstellung in diesem Haus sprechen darf. Mein Bezug zum Thema hat mit der Gruppe SPUR zu tun, die wesentlich durch Lothar Fischer geprägt worden ist, mit Helmut Sturm, der ebenfalls zu den bekanntesten Repräsentanten der Gruppe SPUR gehört sowie mit der persönlichen Bekanntschaft mit Hans M. Bachmayer, den wir vor zwei Jahren viel zu früh zu Grabe tragen mussten und der die Gruppe WIR ebenso stark beeinflusst hat wie später die Gruppe GEFLECHT. Die beiden Gruppen SPUR und WIR waren einander ja nicht von Anbeginn an herzlich zugetan, vielmehr haben sich die Akademie-Studenten, die sich in der Gruppe WIR zusammentaten, ganz bewusst absetzen wollen gegen die Gruppe SPUR, die einen avantgardistischen Anspruch erhoben und formuliert hat, während sich die WIR-Künstler viel introvertierter auf die Originalität ihrer Gefühle beriefen. Aber beide sind hervorgegangen aus einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Akademie-Betrieb, der in den 50er Jahren noch einen sehr hilflosen Eindruck machte, weil häufig die Ästhetik des Dritten Reiches noch präsent war und der Anschluss an die Moderne nur zögerlich gefunden wurde. Da war die Gründung von Künstlergruppen mit neuem programmatischen Ansatz und kollektivem Selbstbewusstsein schon während der Ausbildungsjahre eine seinerzeit spektakuläre Rebellion. Und es ist ja auch kein Zufall, dass die jungen Künstler ihre erste Chance zur Präsentation nicht von der Akademie und dem öffentlich geförderten Kulturbetrieb oder der privatwirtschaftlichen Galerie-Szene bekamen, sondern vom Kunstverein, einer bürgerschaftlichen Institution, die auf neue Antworten aufgeschlossener und offener reagierte. All dies geschah vor 1968. Man darf die Gruppen wohl als Vorboten der späteren Studenten-Unruhen sehen, in deren Verlauf Künstler wie auch Akademie-Studenten ganz unverhohlen politische Programmatik verkündeten und von der Kunst politische Relevanz verlangten. Es war – um ein anderes Ereignis aus dem Umfeld der Akademie zu nennen – die Zeit der Schwabinger Krawalle, in der das Verbot nächtlichen Gitarrenspiels mehrtägige Ausschreitungen provozieren konnte. Der mehr gefühlsmäßige, noch nicht mit viel theoretischem Aufwand begründete politische Anspruch der Gruppe WIR wird übrigens durch ihr Gründungsmanifest unterstrichen, das bereits scharfe anti-kapitalistische Züge aufweist, die nicht unterschlagen werden sollten.
Zur Gruppe SPUR gehörte neben Lothar Fischer auch Helmut Sturm. Weil ich in meinem Amtszimmer über zwanzig Jahre lang eine „kleine Münchner Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts“ zeigen wollte und durfte, war dort neben Gabriele Münter und ihrer schrittweisen Lösung von gegenständlichen Motiven sowie Rupprecht Geiger mit seinen Variationen zur Farbe Rot auch ein großes Bild von Helmut Sturm vertreten, das die Unruhe, die Erregtheit und die Aufbruchsstimmung der frühen 60er Jahre wunderbar dokumentierte. Ich will Ihnen dazu eine Geschichte erzählen, die vielleicht nachträglich erläutert, warum sich die jungen Rebellen damals so schwer taten. Der Münchner Gastgeber eines angeblich weltbekannten Feng Shui-Experten wollte diesem Professor interessante Auftritte verschaffen, fand aber keinen Bauherrn, der sein Gebäude einer fernöstlichen Kritik ausliefern wollte. So kam der Harmonie-Experte zu mir ins Amtszimmer, um die Möblierung zu begutachten. Er war mit Schreibtisch und Sitzgruppe durchaus zufrieden, ereiferte sich aber über den Sturm, der nur Hast, Unruhe und Unfrieden vermittle und keinen im Zimmer zur Ruhe kommen lasse. Von der Auffassung, dass man in Amtsstuben vor allem gut einschlafen können müsse, war ich dann doch überrascht, ich habe im Gegenteil die Lenbach-Galerie gefragt, ob sie noch ein paar Bilder von Helmut Sturm vorrätig habe, die wir als “Amtszimmer-Schmuck“ einigen Genehmigungsbehörden aufzwingen könnten. Daraus wurde nichts, aber ganz offensichtlich hat sich der Zeitgeist der 60er Jahre im Reich der Mitte noch nicht etablieren können. Hans M. Bachmayer ist ebenso wie Reinhold Heller erst später zur Gruppe WIR gestoßen, die von Heino Naujoks, über dessen Anwesenheit ich mich besonders freue, Florian Köhler und Helmut Rieger 1959 gegründet worden war. Seine Arbeiten zeigen wie die der Kollegen den neuen expressiv-figurativen Umgang mit Farbe und Form, die Lust am dreidimensionalen Spiel, die später dann in der Gruppe GEFLECHT weiterentwickelt wurde. Bachmayer ist wie Köhler 2013 gestorben, Helmut Rieger folgte 2014. Wir haben es also mit einem abgeschlossenen Kapital der Münchner Kunstgeschichte zu tun, das aber weiterhin anregend wirken soll. Deshalb danke ich der Stadt Neumarkt für die Spurensicherung bei der Münchner Kunstgeschichte in vorzüglichen Ausstellungen und Katalogen, eine Arbeit, die übrigens der Stadt München selbst auch gut anstünde. Aber immerhin können wir von Neumarkt lernen, wie man das macht. Dafür herzlichen Dank!