Das Schlachtenglück, so wusste schon Wilhelm Hoegner, wechselt. Alle Parteien sind zeitweise gezwungen, sich mit einer Pechsträhne abzufinden. Gegenwärtig gilt dies für viele, für sehr viele sogar. Auch für die lieben Kleinen. Die FDP hat mit ihrem verbohrten marktradikalen Kurs den Wagen an die Wand gefahren und ist im Parlamentsleben kaum noch anzutreffen, die unlängst noch hochgejubelten Piraten verschwinden zunehmend von der Bildfläche. Die Alternative für Deutschland nutzt ihre wenigen Energien, um sich selber zu zerlegen. Der LINKEN stehen Zerreißproben ins Haus, wenn maßlose Versprechungen mit kärglicher Regierungspraxis zusammenprallen – oder gar die Übernahme von Regierungsverantwortung sogar im ostdeutschen Biotop Thüringen scheitert. Und die Großen? Der Union ist der liberale Koalitionspartner dauerhaft abhanden gekommen, und ihr ist bang vor der Zeit ohne Merkel, einer Zeit ohne Köpfe und ohne Programm. Die Sozialdemokratie tritt trotz tüchtiger Leute im Kabinett auf der Stelle und kann keine reale Machtperspektive beschreiben, weder im Bund, noch im Land.
Die Grünen können also nicht mit viel Mitleid rechnen, wenn sie im Jahr ihres 35. Geburtstags viele Enttäuschungen und Rückschläge hinnehmen müssen. Vielleicht waren einige Wünsche einfach zu groß. Zum Beispiel der Wunsch, mit Steuererhöhungen zu punkten und Schwarz-Gelb durch Rot-Grün abzulösen. Oder der Wunsch, die späte Bestätigung der jahrzehntelangen Atomkritik bei Wahlen belohnt zu bekommen. Oder der Wunsch, aus wachsender Zustimmung in der Kommunalpolitik auch wachsenden Einfluss ableiten zu dürfen. Nichts dergleichen geschah. Keine aktuell tragfähige Machtperspektive in Bund und Land und kommunal weniger Einfluss als in den letzten beiden Jahrzehnten. Das will erst einmal verkraftet werden. Denkt an den alten Wilhelm Hoegner: Das Schlachtenglück wechselt.
Der Euphorie, die nach Fukushima ausbrach und euch glauben ließ, künftig die Richtlinien nicht nur der Energiepolitik bestimmen zu dürfen und München zu einem zweiten Stuttgart machen zu können, muss die Katharsis folgen, die langfristigen Stimmungen in der Bevölkerung und die Mehrheitsverhältnisse im Land realisitisch einzuschätzen.
Vielleicht – dieser Ratschlag von außen mag merkwürdig klingen – müssen die Grünen auch lernen, eigene Verdienste und Leistungen, die aus einer Minderheitenposition heraus errungen wurden, selbstbewusster und offensiver zu vertreten, statt selber mehr als die eigene Wählerschaft dauernd die Nase zu rümpfen und Unzufriedenheit mit dem eigenen Tun zu kultivieren.
Damit bin ich bei dem Vierteljahrhundert, das wir, Rot und Grün, in der Münchner Stadtpolitik gemeinsam gestaltet haben. Im Wahljahr 1989 mit rot-grünen Themen und von 1990 bis 2014 in der Verantwortung. Die Grünen haben viele ökologische Projekte angestoßen und vorangebracht und erst die Mehrheiten für eine liberale und tolerante Stadtpolitik ermöglicht. Sie haben Maßstäbe gesetzt mit Sabine Csampai als erste Frau an der Stadtspitze und mit der Popularität des grünen Bürgermeisters Hep Monatzeder. Wirklich gewuchert haben sie mit diesen Pfunden – und ihrer verlässlichen Fraktionsspitze um Sigi Benker – aber nicht. Stattdessen haben sie versucht, ihre eigene – extrem männlich dominierte – Personalpolitik dem Koalitionspartner anzulasten. Schlau war das nicht, fair auch nicht.
Aber völlig losgelöst von solchen Kontroversen sollten wir öfter auf das Wesentliche kommen: In Zeiten des Turbokapitalismus brauchen wir mehr sozialen Ausgleich, um die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich zu stoppen und eine ökologische Politik, um die Zerstörung der Umwelt, die globale Erwärmung und den Verschleiß der Ressourcen zu bremsen. Also eine soziale und ökologische Politik. Kurz: Rot-Grün.
Auch wenn die Koalitionspartner hier in München derzeit – teilweise sehr wohl auf beiden Seiten auch auf eigenen Wunsch – jetzt getrennte Wege gehen, sollte diese Perspektive offen gelassen, inhaltlich fundiert vorbereitet werden. Der Wechsel 1990 fiel auch nicht vom Himmel, sondern wuchs heran, nachdem viele ihm jahrelang den Boden bereitet hatten.
Natürlich gibt es auch andere Perspektiven – aber sind sie auch reizvoll? Schwarz-Grün zum Beispiel? Eine gemeinsame Friedens- und Flüchtlingspolitik sehe ich da noch nicht, auch wenn Marie-Luise Beck bereits die Osterweiterung der NATO bis zur russischen Grenze wünscht. Und eine gemeinsame Energiepolitik kann ich mir angesichts der CSU- Blockaden gegen Windkraftanlagen und neue Trassen auch nicht vorstellen. Oder sollen wir uns gar auf eine Große Koalition forever einrichten, im Bundestag wie im Rathaus?
Das ist wahrlich auch nicht gerade beflügelnd.
Nein, es ist schon so, wie ich bei eurem Geburtstagsfest in der Muffathalle sagte: Ehegatten sollten sich nach einem Scheidungsverfahren nicht nachweinen, als ob jetzt das Leben vorbei wäre, sie sollten den verlorenen Partner aber auch nicht dämonisieren, weil sie damit auch das eigene Leben schlecht machen würden, sondern zunächst einmal jeweils ihr eigenes Ding machen und ein späteres Zusammenwirken nicht ausschließen. Und wie die Grünen „ihr eigenes Ding“ machen können, haben sie in der Amtszeit von Katharina Schulze und Sebastian Weisenburger gleich zweimal bewiesen, nicht nur ohne uns, sondern sogar gegen uns von der SPD: bei den Bürgerbegehren gegen die Dritte Startbahn und die Olympia-Bewerbung. Ich sage als Unterlegener in diesen Konflikten: Respekt!
Mit bestem Dank für die gute Zusammenarbeit nach 1990 – das war immerhin der größere Teil eurer „Lebenszeit“.
Euer Altoberbürgermeister Christian Ude
(Kein Spott! Schließlich gehört ihr jetzt auch unumstößlich zu den bundesdeutschen „Altparteien“.)